Eine wahre Begebenheit.
Erlebt von Helga Thein, aufgeschrieben und gelesen von Andrea Groh
Zum Hören und Eintauchen
Zum Lesen und Mitfühlen
Tränen, Trauer und Tohuwabohu im Brautmodenladen
Der Hilferuf aus dem Brautmodenladen - Eine paranormale Herausforderung
Wieder einmal erreicht mich ein Anruf. Dieses Mal von Elisabeth, der Besitzerin eines Brautmodenladens. Sie bittet mich, bei ihr im Laden zu räuchern, weil dort die absonderlichsten Dinge passieren und kaum noch Kunden zu ihr kommen. Ich packe also meine Sachen, fahre zu ihrem Laden und bin gespannt, was sich dieses Mal zeigen wird und wie ich helfen kann.
Ich treffe Elisabeth im Eingangsbereich vor der Tür ihres Ladens. Sie ist eine freundliche, feine Frau, fast schon zerbrechlich, mit zarter Stimme. Verzweiflung steht in ihren Augen. Sie will mir sofort alles erzählen, was sich seit der Eröffnung ihres Ladens hier so ereignet hat. Ich bitte sie, es nicht zu tun. Ich mache mir lieber selbst ein Bild. Ganz unvoreingenommen. „Ich erzähle dir dann, was ich fühle und wahrnehme“, beruhige ich sie.
Willkommen mit Paukenschlag - Die rasante Kutschenerscheinung
Ich mache mich an die Arbeit: Ich ziehe meine Schuhe aus und stelle meine Tasche mit dem Räucherwerk ab. Vorsichtig zünde ich die Kohle in meinem Räucherkessel an und öffne die Tür zum Laden. Potzblitz! Mir saust prompt und völlig unvermittelt mit voller Wucht eine Kutsche in schnellem Galopp entgegen. Es ist eine große, prächtige, weiße Kutsche mit vier Pferden und ganz schmucken türkisen Sitzpolstern. Gefahren wird sie von einem stattlichen Kutscher. Hinten auf der Kutsche steht ein Mann in gedrungener Haltung. Beide Männer tragen eine Art Uniform. Aber es geht zu schnell, als dass ich sie genauer betrachten könnte. Na, das ist mal eine stürmische Begrüßung! So heftig, dass es mich fast wieder rückwärts aus der Ladentür geworfen hätte!
Elisabeth sieht, wie ich in meiner Bewegung erstarre, und schaut mich verzweifelt, verwundet und verdattert an. Denn natürlich habe nur ich die Kutsche gesehen.
Ängstlich sucht sie nach Worten. Sie befürchtet, dass ich gleich wieder auf dem Absatz kehrtmache und sie mit ihrem Chaos allein lasse.
Ich lache herzhaft, lege meine Kräuter auf die nun weiße Kohle und erkläre ihr, dass ich solche Sachen einfach wahrnehme. Ich bin vertraut mit ihnen. Für mich sind sie völlig normal.
Ich betrete also den Laden, laufe langsam durch den Raum und schwenke mein Räucherkesselchen dabei.
„Wie kannst du da lachen? Mir ist das Lachen echt vergangen! Bei all dem, was hier in den letzten Monaten Seltsames passiert ist!“
„Keine Panik. Ich werde den Grund finden und alles tun, was mir möglich ist, um wieder Ruhe in deinen Brautsalon zu bringen.“
Unerklärliche Vorfälle - Wenn Brautkleider ein Eigenleben entwickeln
Später erfahre ich, dass immer wieder die seltsamsten Dinge passiert sind: Schuhe purzelten aus den Regalen, ohne dass jemand dagegen stieß. Kleider bewegten sich wie von selbst, ohne dass auch nur der leiseste Windhauch durch den Raum strömte. Ein Spiegel auf Rollen verschob sich plötzlich „wie von Zauberhand“ um einige Meter, während eine Kundin sich in einem Kleid betrachtete. Sie flüchtete aus dem „verhexten Laden“, genau wie viele andere schon vor ihr.
Chaos im Brautsalon - Der unsichtbare Hund und die tanzenden Kleider
Nach meiner rasanten „Kutschenbegrüßung“ blicke ich mich also im Raum um.
Ein brauner, großer Hund saust in der Mitte so schnell umher, dass die Kleider auf den Stangen hin und her schwingen, als würden sie vom Wind bewegt werden. Doch es ist absolut windstill im Laden.
Elisabeth eilt zu den Kleidern und versucht, das Schlimmste zu verhindern: Verzweifelt bemüht sie sich, die Röcke festzuhalten, aber je mehr sie sich anstrengt, desto wilder saust der Hund im Kreis. Wie von Sinnen! Das reinste Irrenhaus.
Elisabeth bricht in Tränen aus. Ich sehe ihr an, dass sie verzweifelt und am Ende ihrer Kräfte ist. Mir ist nach diesen Szenen bereits völlig klar, warum Kunden den Laden meiden bzw. ihn nach kürzester Zeit wieder verlassen.
Ich bitte die verzweifelte Frau, sich einfach auf einen der herumstehenden Stühle zu setzen. Kaum sitzt sie, höre ich aus dem Nebenraum eine Nähmaschine wie wild rattern. Die Brautsalonbesitzerin springt auf, rennt hastig zu ihrer Maschine und versucht eilig, den Stecker zu ziehen.
Fast hätte sie es geschafft, doch die aufgeregte Fellnase springt ihr in den Weg. Er springt in schnellem Tempo über Tische und Stühle, wirft einen Eimer um, der krachend und scheppernd die angrenzende Kellertreppe hinabpoltert.
Der Hund richtet in kurzer Zeit ein solches Chaos an, dass sich alles, was Elisabeth zum Nähen braucht, in Windeseile auf dem Boden verteilt: Knöpfe, Nadeln, Borten, Spitze, Perlen. Alles, was eben noch ordentlich in kleinen Boxen sortiert war, fliegt nun durch den Raum. Innerhalb kürzester Zeit ist der Ort vollständig verwüstet.
Die arme Elisabeth verzweifelt… den Hund, der für das Chaos verantwortlich ist, sehe nur ich…
Genug jetzt! Die Pferdekutsche hat sich nämlich gerade schon auf Position begeben, um gleich wieder durch den Raum zu preschen. Instinktiv stelle ich mein Räucherkesselchen auf dem Steinboden ab und schreie aus voller Kehle „STOP!“
Schlagartig steht alles still: der Hund, die Pferdekutsche, die Nähmaschine. Auch Elisabeth ist mein Schrei so in die Knochen gefahren, dass sie in sich zusammenfällt. Ein erschöpftes und schluchzendes Häufchen Elend.
Erleichtert stelle ich fest, dass mein „Stopp“ angekommen ist. Jetzt können wir endlich anfangen zu arbeiten. „Ich bin Helga!“, beginne ich. Nachdem mir nicht ganz klar ist, wer das alles hier zu verantworten hat, wähle ich eine allgemeine Formulierung und rufe laut in den Raum: „Ich spreche jetzt mit dem, der das alles hier zu verantworten hat!“ Mal sehen, wer oder was sich zeigt…
Elisabeth versucht, wieder ein wenig Ordnung in den Laden zu bringen, und klaubt ihre verstreuten Nähutensilien vom Boden auf. Ich helfe ihr vom Boden hoch, reiche ihr ein Taschentuch und bitte sie, sich auf einen Stuhl zu setzen. Sie ist mit ihren Nerven wirklich am Ende und heult buchstäblich Rotz und Wasser.
„Ich warte auf eine Antwort!“, rufe ich energisch und leicht ungeduldig.
Die Begegnung mit Lima - Eine berührende Geschichte aus China
Da kommt Bewegung in den Raum. Die Temperatur sinkt merklich ab und ein mattes, weißes Licht erscheint in der Ecke. „Wer bist du?“, frage ich in das Licht hinein.
„Ich bin Lima!“, spricht es zaghaft und schüchtern aus dem matten, weißen Licht.
„Woher kommst du?“, frage ich interessiert. „Und was willst du?“
Nach einer kleinen Weile antwortet mir Lima vorsichtig: „Ich wohne in China. In Bolou ist meine Arbeitsstelle.“
Das weiße, matte Licht verändert sich, und Elisabeth und ich sehen, was Lima uns zeigen möchte. Zunächst erkennen wir nur die schemenhaften Konturen eines Menschen. Nach und nach verdichten sich die Schemen zu einer kleinen Gestalt. Plötzlich sehen wir klar und deutlich ein kleines Kind vor uns. Ein Mädchen. Dünn und zart. Ungefähr zehn Jahre alt. Zwei lange Zöpfe umrahmen ihren zarten Kopf mit den großen Augen. Gekleidet ist sie in ein schäbiges, ausgewaschenes Hängerchen, das sicherlich schon oft geflickt und von vielen Kindern vor ihr getragen wurde.
„Was möchtest du von uns? Was willst du uns zeigen?“
Die Kleine tritt aus dem weißen Licht in den Raum, läuft los und streift mit ihrer Hand ganz zärtlich durch die Kleider. Sie schwingen vor und zurück, vor und wieder zurück – wie von Zauberhand.
Und da verstehe ich: Die kleine Chinesin ist für all das hier verantwortlich, auch für die umherfliegenden Knöpfe, die Pferdekutsche und den herumtobenden Hund. Dieses kleine Mädchen aus China „spukt“ hier durch den Laden.
„Stop!“, rufe ich leise, aber bestimmt. „Was möchtest du?“
Elisabeth hinter mir weint nun laut. Lima kommt langsam auf die verzweifelte Frau zu. Alarmstufe Rot! Ich habe keine Ahnung, was passieren wird, sollte Lima Elisabeth auch noch berühren, und bin ernsthaft besorgt. Schließlich ist das, was hier gerade geschieht, sowieso schon äußerst selten und mehr als außergewöhnlich. Lima steht ja nicht wirklich mit einem physischen Körper vor uns. Sie ist einfach nur verdichtete Energie, die jetzt auch für Elisabeth ganz klar wahrnehmbar ist.
Ganz zart nimmt Lima Elisabeths Hand und bittet sie scheu: „Bitte nicht schimpfen! Und wirf bitte keine Sachen mehr nach mir!“ Elisabeth hatte sich in den letzten Monaten nämlich nicht anders zu helfen gewusst, als mit Gegenständen um sich zu werfen, sobald sich die Brautkleider bewegten: mit einem Metermaß, mit Kreide, mit ihrem Lineal.
Plötzlich wirkt Elisabeth sehr betroffen. Vorsichtig streicht sie dem Kind über den Kopf, zieht aber schnell die Hand zurück und ruft entsetzt aus: „Bin ich verrückt?!?“ Lima erschrickt ebenfalls ein wenig und weicht vor Elisabeth zurück.
Ich lege der sichtlich überforderten Frau beruhigend einen Arm um ihre Schulter. Lima biete ich meine andere Hand an. Vorsichtig legt sie ihre kleinen, zarten Hände in meine Hand. „Nein, du bist nicht verrückt“, antworte ich. „Schau dir die kleinen Finger von Lima an. Sie sind ganz abgearbeitet. Zerstochen von den vielen Nadeln.“
Kinderarbeit hinter schöner Fassade - Die erschütternde Wahrheit
Ermutigt von meinen Worten erzählt uns Lima, dass sie Perlen auf wunderschöne Kleider näht. Jeden Tag. 14 Stunden lang. Sie wird geschlagen. Hat wenig zu essen. Wenn sie nicht arbeitet, schläft sie mit vielen anderen Kindern in einer dunklen großen Halle, ohne Fenster. Freizeit, Spielen und Toben kennt sie nicht. Wenn sie krank ist, ist sie auf sich allein gestellt. Ihre Eltern? Keine Ahnung…
Lima bestickt auch die Kleider, die bei Elisabeth im Laden hängen. Und da begreift die Ladenbesitzerin: Die kleine Perlenstickerin ist hier, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass in all den wunderschönen Brautkleidern in ihrem Laden die Energie von Kinderarbeit steckt.
Voller Mitgefühl legt Elisabeth ihre Hände über Limas Hände. Sie begegnen sich still…
Der heilige Moment - Ein Versprechen wird gegeben
Lima hat ihre Botschaft übermittelt. Der Raum zwischen den beiden füllt sich mit Liebe und ganz tiefem Verständnis füreinander. Es ist ein heiliger Moment, dem ich hier beiwohnen darf. Und es fühlt sich an, als würde Elisabeth Lima in dieser Stille aus tiefstem Herzen ein sehr ernstes Versprechen geben.
Nach ein paar Minuten Stille und sanften Tränen verändert sich der Raum erneut: Lima wird immer durchscheinender. Ätherischer. Kurz bevor sie sich ganz auflöst, winkt sie uns zu. Der Hund und die Pferdekutsche verschwinden gleichzeitig mit ihr.
Es wird wieder warm. Friedlich. Still. Nur das offensichtliche Durcheinander im Salon und in der Nähstube bleiben uns erhalten.
Mein abgestelltes Räucherkesselchen ist in der Zwischenzeit ausgegangen. Tief beeindruckt von dem, was gerade passiert ist, helfe ich Elisabeth schweigend beim Aufräumen und nachher beim Absperren des Ladens.
Zurück auf der Straße findet Elisabeth ihre Sprache wieder: „Ich hatte schon lange den Verdacht, dass meine Kleider mit Kinderarbeit hergestellt werden! Dabei ist es mir doch so wichtig, dass es fair zugeht!“ Sie entscheidet konsequent: „Ich wechsle den Hersteller!“
Kaum ist die letzte Silbe verklungen, fährt uns ein Windstoß durch die Haare. Wie ein kleiner, luftiger Gruß. Ein Danke. Eine Bestätigung. Wir lachen beide und verabschieden uns.
Von Veränderung und Neuanfang - Ein wahres Happy End
Kurze Zeit nach unserem Termin recherchiert Elisabeth gründlich, reist sogar extra nach China. Alles, was Lima ihr gezeigt hat, entspricht der Wahrheit. Umgehend beendet sie die Zusammenarbeit mit dem Hersteller und klärt auch andere Brautsalonbesitzerinnen darüber auf, dass in den wunderschönen Kleidern die Schmerzenergie der arbeitenden Kinder steckt.
Das Chaos in ihrem Laden ist Vergangenheit, und Kunden strömen wieder gerne in ihren Laden. Auch persönlich wird sie vom Leben reich beschenkt: Sie heiratet schließlich den Vertreter ihres neuen Modelabels, der Kleidung garantiert ohne Kinderarbeit vertreibt.
Ein Happy End auf allen Ebenen. Wäre es nicht das echte Leben, sondern ein Hollywood-Drehbuch, es wäre eindeutig zu dick aufgetragen…
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Wow, ich wurde von deiner Stimme in den Bann gezogen und konnte mir dadurch alles sehr lebhaft vorstellen, als wäre Lima hier.